Das Originäre im Original
Über eine künstlerische Arbeit zu schreiben, erinnert an Fragen, die schon Walter Benjamin in seinem Text über »Die Aufgabe des Übersetzers« gestellt hat.[1] Wie verhält sich die Übersetzung zum Original, wie ähnlich soll die Übersetzung dem Original werden und wie weit greift das Original in die Sprache der Übersetzung ein? So schwierig diese Fragen zu beantworten sind, so schön ist Benjamins Überlegung, nicht nur das Verhältnis von Original und Übersetzung im Auge zu haben sondern einen Schritt davor anzusetzen, noch im Original zu weilen und noch vor der Übersetzung nach der »Übersetzbarkeit« zu fragen. Wie weit ist die Übersetzbarkeit dem Original schon eingeschrieben? Die Frage nach der Übersetzbarkeit gilt dem Original noch vor dessen Übersetzung, ja unabhängig von den Übersetzungen, die ihr folgen: »Übersetzbarkeit eignet gewissen Werken wesentlich…«.[2] Ich möchte diesen Zeilen über die Arbeit von Sabine Aichhorn die These voranstellen, dass ihren Werken die Übersetzbarkeit wesentlich schon eingeschrieben ist, dass die Künstlerin wesentlich Spuren und Merkmale der Übersetzbarkeit schon in die Vorstellung eines Originals integriert. In diesem Sinne vermittelt sich das Original ein Stück weit selbst als Übersetzung der originären Übersetzbarkeit, die dem Original gewissermaßen vorauseilt und sich in dieses übersetzt: das Original als übersetzte Übersetzbarkeit.
Aichhorn
verwendet zum Beispiel Filmstreifen als Material, um damit Architekturmodellen
ähnliche »Filmarchitekturen« zu bauen. Was als vielstöckiges Hochhausarchitekturmodell
erscheint, ergibt sich aus der »Montage« der seriellen Struktur der Filmkader
in den Filmstreifen zum Objekt. Jedes Kader ein Stockwerk, ein Fenster, durch
das man auf die Filmarchitektur durchblicken kann, die aus diesen gebaut ist.
So verweist das Material, mit dem sie arbeitet, auf das Medium, das ihm
zugrunde liegt, und das Medium wieder auf das Material, zu dem es geworden ist.
Sie übersetzt die Filmarchitekturen medial in einen 16mm Film, den sie dann
wieder als skulpturales Material verwendet, um damit weitere
Modellarchitekturen zu bauen: vom Objekt zum Bild und vom Bild zum Objekt. Das
Medium Film verweist auf die Architektur, die abgebildet wird, um aus den
Bildern selbst wieder Architekturen entstehen zu lassen. Mit anderen Worten:
Aichhorn übersetzt ein Medium in die Sprache eines anderen Mediums, wobei dem
jeweiligen Medium immer schon die Übersetzbarkeit in ein anderes Medium
eingeschrieben ist. Die Frage nach Film, Architektur, Skulptur oder
Installation ist nur als Prozess der Übersetzbarkeit von einer medialen Sprache
in die andere, von einem künstlerischen Genre ins nächste zu beantworten. Die
Tatsache, dass sie nun auch begonnen hat, die Filmkader wieder in großformatige
Fotografien zu übersetzen, folgt der gleichen Logik der Übersetzbarkeit.
Ähnliches
gilt für ihre »Polaroid-Arbeiten«, bei denen sie die dem Polaroid eigene
Ästhetik aus Format und Entwicklungsqualität nützt, um die entsprechende
Präsenz der medialen Übersetzung im Bild hervorzukehren. Denn bei den Polaroids
erscheint die Gegenwart des Mediums präsenter als der Blick aufs Motiv: Man
stellt zuerst fest, dass es sich um ein Polaroid handelt und fragt dann nach
dem Motiv. Das Sofortbild eilt gewissermaßen dem Motiv voraus. Was vom Motiv
bleibt, ist nur der Hinweis, dass man es sofort als Bild vor Augen haben
wollte, wenn man so will: als Hinweis auf das Fotogene eines Augenblicks. Das
Fotogene wäre in diesem Sinne die einem Augenblick oder Motiv schon
eingeschriebene Übersetzbarkeit ins Bild – unabhängig von der Übersetzung, das
heißt von der Frage, ob man das Bild dann auch fotografiert oder nicht. Das
Polaroid unterstreicht mit seiner Ästhetik nur das Fotogene, das der Fotografie
schon vorauseilt. Das Polaroid übersetzt die Übersetzbarkeit ins Bild. Wenn nun
Aichhorn auch die Polaroids wieder fotografiert und ins großformatige Bilder
übersetzt, dann erscheinen darin nicht nur die Einflüsse der Übersetzung von
einem Medium ins andere, sondern es zeigt sich die Übersetzbarkeit selbst als
Motiv. Ein Bild vom Bild, das schon seine Übersetzbarkeit ins nächste in sich
trägt. So unterschiedlich die verschiedenen Übersetzungen erscheinen, so
gemeinsam ist ihnen ihre Übersetzbarkeit.
Evident
wird dieses Motiv in ihren Videos, die den Entwicklungsprozess eines Polaroids
aufzeichnen. Dafür hat Aichhorn eigens Bilder gemalt, mit je spezifischen
Hell-Dunkel-Verhältnissen, die schon auf den Entwicklungsprozess des Polaroids
abzielen. In diesem Sinne orientieren sich die gemalten Bilder schon an der Sprache,
in die sie fotografisch übersetzt werden und an dem Entwicklungsprozess, der
dann zum Motiv für das Video wird. Der Übersetzung vom gemalten Bild ins
Polaroid und vom Polaroid ins Video eilt das Wissen um deren Übersetzbarkeit
voraus. Die Übersetzbarkeit ist den je spezifischen Originalen schon
eingeschrieben und äußert sich dann originär in den Übersetzungen der
Übersetzbarkeit.
Was Aichhorn
damit skizziert, ist nicht nur eine Auflösung der klassischen Sequenz, die vom
Original zur Übersetzung führt, von einer Sprache in die andere oder von einem
Medium ins andere, sondern die Frage nach dem Medium selbst. In ihren Arbeiten
wird das Medium zum Material, aus dem sie die den Medien eingeschriebene
Übersetzbarkeit selbst zu formen beginnt. Das Originäre der Übersetzbarkeit
geht den Originalen voraus. Was dann als Original erscheint, trägt schon die
Übersetzbarkeit in sich. Das Original – sei es das gemalte Bild, das Polaroid,
der Filmkader, das Video oder die Installation – weist schon auf das nächste
Original, das sich aus ihm speist. Das Originäre in ihrer Arbeit ist der
Prozess, dem die Originale in ihrer Übersetzbarkeit ausgesetzt werden. In
diesem Sinne folgen ihre Arbeiten einer Transmedialität, die sich durch die
verschiedenen medialen Manifestationen zieht, diesen vorauseilt und erst in
diesen als übersetzte erscheint. Was von den Medien und ihrer Differenz bleibt,
erscheint nur mehr als Echo einer Medialität, die sich in einem Medium nur
spiegelt und schon aufs nächste verweist.
Aus
dieser Perspektive erscheint die Wahl des Lichts, das sich in ihren Motiven
immer wieder spiegelt, darin reflektiert und verändert wird, nicht zufällig als
zentrale Figur – als wäre das Licht das Medium für die Übersetzbarkeit
schlechthin. Und hier berühren die Arbeiten von Aichhorn ein Feld der Malerei,
die auch dann noch aufblitzt, wenn sie übersetzt in Fotografien, Polaroids, in
Filmarchitekturen oder Videos erscheint. Als könnte man anhand ihrer Arbeiten
über Malerei sprechen, ohne ein gemaltes Bild vor Augen zu haben. Aber das wäre
eine Aufgabe für eine Übersetzung.