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2009 Günther Holler-Schuster

Sabine Aichhorn und das Expanded Cinema

Man kann sich auf verschiedenste Art und Weise mit Film auseinandersetzen. Zumindest zwei grundsätzliche Zugangsweisen seien hier besonders erwähnt: erstens die inhaltliche und zweitens die formale Ebene. Auf der inhaltlichen Ebene, die die wesentlich geläufigere ist und von der überwiegenden Mehrheit der filminteressierten Öffentlichkeit wahrgenommen wird, geht es in erster Linie um Narratives, das unterschiedlich spannend wiedergegeben wird. Man diskutiert hier weniger das Medium, als vielmehr Handlungsabläufe, persönliche Befindlichkeiten, soziale Parameter oder historische Ereignisse, psychologische Zusammenhänge oder Orte bzw. Gegenden, die verantwortlich sein können für eine Entwicklung oder zumindest dokumentarisch in Erscheinung treten. Ähnliches findet sich auch in anderen Sparten wie der Literatur, der Musik, dem Theater oder den Massenmedien. Auch ist es in diesem Zusammenhang nicht notwendigerweise erforderlich, vom Medium Film allein auszugehen. Man muss das Fernsehen als Vehikel mitdenken. Wir nehmen sicher mehr Spielfilme oder Dokumentationen im Fernsehen auf, als dass wir uns dazu jedes Mal in ein Kino begeben. Die TV-Struktur ist jedoch eine wesentlich andere und wird in diesem Zusammenhang nicht weiter erläutert.

Viel eher haben wir es, wenn wir uns der Arbeit von Sabine Aichhorn nähern, nahezu ausschließlich mit dem formalen Aspekt des Mediums zu tun. Es ist zweifellos der entlegenere Zugang, jedoch entwickelt sich dieser bei näherer Auseinandersetzung als mindestens so bedeutend zum generellen Verständnis dieses Mediums.

Der analytische und zugleich auch kritische Geist der Moderne bzw. der Avantgarde hat es notwendig gemacht, sich dem Film auch auf der formalen Ebene zu nähern. Alle Faktoren dieses Mediums wurden plötzlich – in den späten 1950er und beginnenden 1960er Jahren als wesentlich erachtet, um Filme zu verstehen – sie nicht ausschließlich als Illusionsmaschinerie zu betrachten. Mit dem Film zu arbeiten, hieß nicht länger, dass man sich auf fotografische Abbilder der Realität, die auf eine einzige Leinwand beschränkt sind, festlegen musste. Das Medium wurde von da an als visuelles System reflektiert, das in der Konsequenz einen tatsächlichen Film (Zelluloid) nicht einmal mehr erfordert. Die Ausweitung der Projektion auf den ganzen Raum und das Installieren von dreidimensionalen Ensembles vor der Leinwand wird genauso relevant, wie reale Handlungen vor der Leinwand oder Licht- und Schattenspiele im Raum. Rosalind Krauss beschreibt die Situation, in der wir uns in dieser Phase befinden, sehr treffend: dass der Film nicht bloß „aus dem Zelluloidstreifen besteht, auf dem die Bilder festgehalten sind, nicht aus der Kamera, welche sie aufgenommen hat, nicht aus dem Projektor, der sie durch die Bewegung wieder zum Leben erweckt, nicht aus dem Lichtstrahl, der sie auf die Leinwand projiziert, und auch nicht aus der Leinwand, sondern aus all diesen Elementen zusammen, einschließlich der Position des Publikums, das gefangen ist zwischen der Lichtquelle, die hinter ihm platziert ist, und dem Bild, das vor seinen Augen projiziert wird“ (1). Elemente der Performance- und Objektkunst treffen hier aufeinander. Formen der Bewegung (Film und Performance) und starre Bilder (Dreidimensionales und Fotografie) ergeben in dieser Symbiose neue Möglichkeiten der Darstellung. Der Begriff „Expanded Cinema“ hat sich dafür etabliert. In Österreich hat diese Form der Auseinandersetzung mit dem Film eine besonders wichtige und verbreitete Bedeutung. Leute wie Marc Adrian, VALIE EXPORT, Peter Kubelka, Hans Scheugl oder Peter Weibel sind hier besonders zu erwähnen. Hier zu Lande ist der medienanalytische, antiillusionistische und institutionskritische Ansatz bei der Arbeit an und vor der Leinwand im Kontext des strukturellen Films und der Konzeptkunst besonders hervorzuheben. Erweiterungen des Projektionsfeldes im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Formen der Wahrnehmung und der Publikumsbeteiligung, die im Bereich Happening, Fluxus oder bei Popkonzerten zu erleben waren, führten konsequenterweise zu Film-Happenings, Film-Environments und Multimedia-Shows. Die Erweiterung des Bildbegriffes erfuhr hier eine entscheidende Phase. Die von Clement Greenberg für die Malerei geforderte Flachheit war nun auch im Film in Auflösung begriffen.

Was hier auf formaler, konkreter Ebene passiert, muss auch mit der eingangs erwähnten inhaltlichen Ebene in Verbindung gebracht werden. Daniel Boorstin schrieb 1965 in seinem Buch „Das Image oder was wurde aus dem amerikanischen Traum“ von der Tatsache, dass wir Gefahr laufen, das erste Volk der Geschichte zu sein, das dazu fähig ist, seine Illusion so lebendig, so überzeugend, so realistisch zu gestalten, dass es in dieser Illusion leben kann. Wir müssen inzwischen anerkennen, dass es längst soweit gekommen ist. Letztlich hat man schon früh erkannt, dass es für die Umwandlung des Lebens in ein Unterhaltungsmedium wichtig ist, dass sich das Publikum mit etwas identifizieren können muss, wenn es von der Show verzaubert werden soll. Für die Leinwand waren das die Filmstars mit ihrem begehrenswerten Leben. Das hat natürlich ein Netz an Bedürfnislagen mit sich gebracht und den Markt angefeuert. Lifestyle-Berater und Modemacher sind letztlich nur wenig anderes als gleichsam Dramaturgen, die uns beibringen, wie wir unser eigenes Leben dem Film vor unserem geistigen Auge annähern können. Ein paralleles Universum entstand sofort, als der Film Verbreitung fand und die Nebenerscheinungen des Films (Stars, Schauplätze, Finanzen, Superlativen auf vielen Ebenen) über die Medien einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden und zur Nachahmung und somit zum Ziel der Begierde wurden. Wenn man es heute betrachtet, ist das eine gleichsam pervertierte Form des Begriffes „Expanded Cinema“ – es hört sich fast zynisch an.

Das „Expanded Cinema“ in jeder Hinsicht spielt für Sabine Aichhorn eine besondere Rolle. In ihrer Austellung „Los Angeles“ im Studio der Neuen Galerie Graz zeigt sie das auf vielfältige Weise. Die Künstlerin baut die Skyline von Downtown L.A. wie man sie von Postkarten kennt, als kulissenhafte Installation aus Filmstreifen (35 mm) nach. Zwischen den Bauten windet sich der 16 mm Film als Endlosschleife und zeigt die abgefilmte Skyline, die aus 35 mm Filmstreifen besteht, an die Gegenüberwand projiziert. An einer anderen Wand hängt ein großformatiges Foto eines Modells, das die Künstlerin von der Super-8 Variante der Skyline gebaut hat.
Wenn nun die Welt zum Bild geworden ist – Aichhorn demonstriert das gleichsam in Bezug zum Medium Film – dann ist die Veränderung unseres Lebensraumes ein entscheidender Faktor in der Analyse. 1972 erschien „Learning from Las Vegas“. Venturi, Scott Brown und Izenour haben in diesem Buch auf die Veränderung der Architektur hingewiesen, die in Folge einer durchkommerzialisierten Dienstleistungs- und Unterhaltungsmaschinerie eintritt. Bauwerke sahen plötzlich aus wie die Produkte, die sie verkauften – Hot Dog Buden in Form von überdimensionalen Hot Dogs usf. Das war allerdings nur der Beginn einer Entwicklung, die wir heute als selbstverständlich mehr unbewusst als bewusst wahrnehmen. Wenn wir die heutigen Städte ansehen – Los Angeles gehört da sicherlich dazu – so stellt man fest, dass der öffentliche Raum zu einem System geworden ist, das in höchstem Maße Informationslieferant geworden ist. Bspw. bilden dynamisch bespielbare Medienwände die Außenhüllen von Gebäuden. Während des Bauens wird die Gerüstverkleidung als Informationsträger verwendet und vor dem Ensemble fährt eine Straßenbahn oder ein Bus vorbei, dessen Außenfläche als Werbeträger fungiert und auf den kleinen Displays und Monitoren im Inneren finden sich auch noch allerlei Hinweise zur Maximierung unseres Begehrens. Lichter, bewegte und unbewegte Bilder, Slogans, Logos, Musikfetzen bestürmen unsere Aufmerksamkeit. Unsere Umgebung ist so wie wir, die wir sowohl Bilder empfangen wie produzieren, zum Medium geworden – zum „Expanded Cinema“.

Sabine Aichhorn will nicht den guten vom bösen Effekt des Ganzen trennen, sondern versucht, auf sehr sparsame Weise und sehr präzise eine Gesamtsituation zu analysieren. Was wurde aus einer avantgardistischen Forderung und was hat sich durch das merkantile System, in dem wir leben, entwickelt und wie stehen Realität und Fiktion zueinander?

Man könnte demnach die Stadt Los Angeles (Hollywood) an sich schon als noch einmal erweiterte Form des „Expanded Cinema“ begreifen, so eng sind die Produktionsorte und die Schauplätze verschiedener Filme mit dem Alltagsleben dort verzahnt. Jeder Polizeieinsatz, der durch pressebeauftragte Hubschrauber im Himmel begleitet wird, die nachts mit ihren Scheinwerfern die Szene dramatisch erleuchten, wird zur Filmszene.

Aichhorns Arbeit bezieht sich auf unterschiedlichste Weise auf all das. Zum einen werden die klassischen Formen des „Expanded Cinema“ aufgegriffen – das kann bis zum direkten Zitat (Kubelka) gehen. Zum anderen wird der Begriff in seiner ungewollten und weit größeren Entwicklung angesprochen, wenn sie bspw. Filmschmuck produziert. Diese aus Filmstreifen gemachten Hals- und Armreifen, sowie die Einzelkader, die in Plexiglasringe eingearbeitet sind, erfüllen sowohl die Forderung der Kunst –  „Filmschmuck ist tragbare Objektkunst“ (Aichhorn) –, als sie auch den Marktgesetzen gehorchen. Sowohl der performative Charakter der Dreidimensionalität wie auch die merkantilen Begleiterscheinungen des Kinos sind hier gemeint. Merchandising ist einer der wesentlichsten Faktoren bei der Gewinnmaximierung im Filmbusiness. Sabine Aichhorn, die nicht nur als Künstlerin ausgebildet ist, sondern auch ein Studium der Wirtschaftswissenschaften absolviert hat, weiß darüber genau Bescheid.

Sie macht in Ihrer Arbeit auch unmissverständlich klar, dass Bilder Reisende von einem Medium ins andere sind und wir in dieser Odyssee des Bildes auch eine Station darstellen.  


(1) Rosalind Krauss, „A Voyage on the North Sea – Broodthaers, das Postmediale“, Zürich, Berlin 2008, S. 32


Sabine Aichhorn and Expanded Cinema


There are any numbers of ways to consider film. Here, there are at least two basic approaches to be mentioned in particular: form and content. The content level, which is far more common and is recognized as such by the vast majority of the film-oriented public, concerns itself with narratives that are reproduced to varying appeal. What is a matter of discussion is less the medium and rather the plot development, personal states of mind, social parameters, historical events, psychological contexts, or locations and regions that could be responsible for a development or at any rate have the aspects of a documentary. Similar ideas can be found in literature, music, theater or mass media. Even in this context it is not necessarily required to single out film alone. Television must be seen as a vehicle as well. We surely soak up more feature films and documentaries on TV than watch films in the cinema. The structure of TV, however, is essentially different and will not be furthered discussed in this context.

In approaching Sabine Aichhorn’s work, however, we deal for the most part with the formal aspects of the medium. It is, without a doubt, the more remote method of approach, but one that develops from a close treatment, which is at least as significant as a general understanding of the medium to which it leads.

The analytical, and at the same time critical, modern spirit and the Avant Garde has made it necessary to approach film on the level of form. Suddenly in the late 50’s and early 60’s all the factors of this medium were to be considered essential in order to understand a film, and thereby not completely disregarding it as an apparatus of illusions. To work with film no longer meant having to commit oneself to photographic images of reality bound to a single screen. From then on the medium was reflected as a visual system, and as a consequence actual film—celluloid—was no longer even required. Expanding the projection on the whole area and the installing three-dimensional assemblages in front of the screen becomes just as relevant as the real storyline before the screen, or the play of light and shadow in space. Rosalind Kraus accurately describes the situation in which the phase we find ourselves in: that film consists of “neither the celluloid strip of the images, nor the camera that filmed them, nor the projector that brings them to life in motion, nor the beam of light that relays them to the screen, nor that screen itself, but all of these taken together, including the audiences position caught between the source of the light behind it and the image projected before its eyes.”  Here, elements from the art of performance and object art converge. In this symbiosis forms of movement (Film and Performance) and frozen images (three-dimensional and photographic) produce new possibilities of representation. With this, the term expanded cinema became firmly established.  In Austria, this form of examining film was of particular and widespread significance. People such as Marc Adrian, Valie Export, Peter Kubelka, Hans Scheugl and Peter Weibel should be mentioned at this point. In this country, the media-analytic, anti-illusionistic, and critical-of-institutions approach to work on and in front the screen in the context of structural films and concept art is to be especially emphasized.  Expanding the projection field in connection with the development of new forms of perception and audience participation, experienced in happenings, fluxus or at pop concerts, has consequently led to film-happenings, film-environments and multi-media shows. Here, the expansion of the concept of image underwent a decisive phase. Clement Greenberg’s demanded flatness in painting now saw its end in film.

What takes place on the concrete level of form must also be connected to the level of content mentioned at the beginning. In 1961, Daniel Boorstin in his book  “The Image: A Guide to Pseudo-Events in America” wrote that as the first people in history with the means of producing an illusion so lively, convincing and realistic, we run the risk of living in an illusion.  In the meanwhile we must acknowledge that we have come so far. Finally, it was already recognized early on that when converting life into entertainment it was crucial that the audience had to be able to identify with something when the audience was supposed to be enthralled by the show. For the silver screen it was the movie stars and their enviable lives. This of course entailed a wealth of necessities and spurred on the market.  Lifestyle consultants and fashion designers are ultimately little different than dramaturges, so to speak, who teach us how to approximate the film in our mind’s eye. A parallel universe instantly came into being with the dissemination of film. The side effects of film (celebrities, venues, finances—superlatives on every level) were made accessible to and imitated by the public through the media, and they became aims of desire. When looked at today, this is, so to say, a perverted form of the concept expanded cinema, which sounds almost cynical.

For Sabine Aichhorn Expanded Cinema plays a special role in every respect. This can be seen in her multifaceted exhibition “Los Angeles” in the Neuen Galerie Graz. The artist replicated the Los Angeles skyline, as seen on postcards, in an installation as a kind of backdrop, made from 35mm filmstrips. Between the buildings dangles a 16mm film like an infinite loop, showing the skyline made from 35mm filmstrips projected on the opposite wall. A large-sized picture hangs on the other wall, portrays a replica of the skyline built by the artist with Super 8 filmstrips.

If the world has become an image—Aichhorn basically demonstrates the same in film—than the change to our living space is a critical factor in the analysis. In the 1972 published “Learning from Las Vegas” Venturi, Scott Brown and Izenour alluded to a change in architecture that appeared as a result of the thoroughly commercialized service and entertainment apparatus. Suddenly,  the facilities looked like the products they sold—hot dog stands in the shape of massive hot dogs, and so on. However, that was only the beginning of a development we automatically accept today and seldom consider. If we look at today’s cities, and Los Angeles is definitely included, we realize that public space has become systematized, providing information to the highest degree. For instance, buildings’ exteriors are converted into dynamic walls of multimedia. During construction the scaffolding displays information, and a bus or a tram passes by, whose exterior functions as a vehicle for advertising. On the interior, there are monitors and displays with all sorts of tips on how to maximize our desires. Lights, still and motion pictures, slogans, logos and audio clips overwhelm our awareness. Our surroundings are just as we are, receiving and producing images, transformed into media, into expanded cinema.

Sabine Aichhorn does not want to separate the positive effects from the negative, but instead attempts to analyze the situation as a whole in a way that is both prudent and accurate. What happened to the Avant Garde call? What developed on account of the mercantile system we live in, and how do reality and fiction relate to each other?

Thus the city of Los Angeles—Hollywood— itself can be conceived of as a once more expanded form of Expanded Cinema as the production sites and the movie theaters are closely linked with everyday life. Every major police response that is covered by news helicopters, which dramatically light up the night with their searchlights, turns into a scene straight from a film.

Aichhorn’s work examines it all through varying approaches. On the one hand, the classical form of expanded cinema is taken up, going as far as direct quotes (Kubelka). On the other hand, the concept is addressed in its unintentional and larger development when she produces Filmschmuck, for example. These are neckbands and bracelets made out of filmstrips as well as single frames embedded in plexiglass rings. They fulfill the demand for art: “Filmschmuck is wearable object art” as Sabine also responds to the laws of market.  This indicates both the performative aspects of three-dimensionality and the commercial byproducts of the cinema.  For the film industry, merchandising is one the crucial factors in maximizing profits. Sabine Aichhorn, who besides being a formally trained artist has also completed studies in economic sciences, knows exactly what it’s all about.

In her work, Sabine also makes it unmistakably clear that images are just travelers passing from one medium to the next, and we represent a stop in this odyssey of images.